AfD, BSW - Wohin steuern sie Deutschland?
Wird Sahra Wagenknecht Steigbügelhalterin für Björn Höcke?
Werfen wir einleitend einen kurzen Blick zurück: Am 1. September wurden in Sachsen und Thüringen neue Landtage gewählt, drei Wochen später folgte die Landtagswahl in Brandenburg. Die Ergebnisse dieser Wahlen haben nicht nur direkte Folgen für diese Bundesländer; sie könnten durchaus auch Auswirkungen auf die politische Situation in ganz Deutschland haben. Doch der Reihe nach:
Bei diesen Wahlen wurde die (selbsternannte) „Alternative für Deutschland“ (AfD) in Thüringen stärkste politische Kraft, in den beiden anderen Bundesländern landete sie knapp geschlagen jeweils auf Platz zwei. Weiteres bemerkenswertes Ergebnis dieser Wahlen war, dass eine erst im September 2023 im Bund gegründete Partei, deren Landesverbände erst später gegründet wurden (und dies noch immer nicht in allen Bundesländern), das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW), mit Stimmenanteilen zwischen 11,8% (Sachsen) und 15,8% (Thüringen) in Sachsen und Thüringen drittstärkste Kraft und wurde und in Brandenburg sogar Platz zwei erobern konnte. Da zudem bei diesen Wahlen einige der etablierten Parteien erhebliche Stimmenverluste hinnehmen mussten bzw. in den neu gewählten Landtagen gar nicht mehr vertreten sind, ergibt sich in allen drei Bundesländern die Konstellation, dass die Bildung einer Regierung ohne Beteiligung oder gar unter Führung der AfD nur möglich ist, wenn das BSW für eine Regierungsbeteiligung gewonnen werden kann. In Thüringen könnte eine Mehrheitsregierung sogar nur dann gebildet werden, wenn sich alle übrigen im Landtag vertretenen Parteien zusammenfinden würden. In Sachsen hätte eine Koalition aus CDU, BSW und SPD (hier in der Reihenfolge des Wahlergebnisses genannt) eine Mehrheit von 66 der 120 Landtagssitze. In Brandenburg schließlich, wo nur noch vier Parteien im neu gewählten Landtag vertreten sind, können nur der dortige Wahlsieger SPD und das BSW eine Mehrheitsregierung bilden (46 von 88 Sitzen); abgesehen davon, dass die bisher mitregierende CDU wegen der bei dieser Wahl erlittenen Stimmenverluste (sie fiel von 15,6% auf 12,1% der Stimmen zurück) bereits unmittelbar nach Verkündung des amtlichen Endergebnisses eine erneute Regierungsbeteiligung ausgeschlossen hatte, kämen sie und die SPD nur auf 44 von 88 Sitzen und hätten somit keine Mehrheit.
Hieraus ergibt sich insbesondere für die CDU in Thüringen, aber auch in Sachsen, eine pikante Situation. Hierzu muss man wissen, dass diese Partei auf ihrem 2018 abgehaltenen Bundesparteitag so genannte „Unvereinbarkeitsbeschlüsse“ hinsichtlich einer politischen Zusammenarbeit sowohl mit der AfD als auch mit der Partei DIE LINKE gefasst hatte, die bis heute fortgelten. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass das BSW eine Abspaltung aus der Partei DIE LINKE darstellt und seine (Mit-)Begründerin, Namensgeberin und Vorsitzende Sahra Wagenknecht ihre ursprüngliche politische Heimat in der SED, der Staatspartei der ehemaligen DDR, hat, in der sie lange Zeit ein führendes Mitglied der „Kommunistischen Plattform“ war. Und ebendieser Unterteil der SED war einer der tragenden Gründe für die Entscheidung der CDU eine Zusammenarbeit mit der LINKEN kategorisch auszuschließen (s. S. 9 des Dokuments). Diese Gemengelage führt zu einem fast schon kuriosen Ergebnis: Die CDU (deren Vorsitzender und Kanzlerkandidat für die Bundestagswahl 2025, Friedrich Merz, eine Zusammenarbeit mit dem BSW auf Bundesebene ausschließt) muss in diesen Bundesländern die Zusammenarbeit mit einer Partei (ver-)suchen, die von einer Person dominiert wird, die mitentscheidend für den Beschluss der Unvereinbarkeit der Zusammenarbeit mit einer anderen Partei war – und das Ganze wiederum, um die Regierungsbeteiligung einer anderen Partei zu verhindern, die von den Verfassungsschutz-Ämtern dieser Länder als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft wird und gegenüber der ebenfalls ein Unvereinbarkeitsbeschluss besteht.
Hinzu tritt noch die programmatische Ausrichtung des BSW, die wesentlich von Sahra Wagenknecht geprägt wird und von ihr als entscheidend für die erzielten Wahlerfolge angesehen wird. Extrem wichtig ist hierbei die Ablehnung weiterer Waffenlieferungen an die Ukraine zu deren Unterstützung gegen den von Russland angezettelten Angriffskrieg und die für 2026 geplante Stationierung von Raketen und Marschflugkörpern großer Reichweite in Deutschland. Obwohl die Umsetzung dieser Anliegen eindeutig auf der bundespolitischen Ebene angesiedelt ist und von den Bundesländern kaum beeinflusst werden kann hat Sahra Wagenknecht bereits frühzeitig erklärt, sie mache die Beteiligung des BSW an Koalitionen in den Bundesländern davon abhängig, dass diese Positionen in den jeweiligen Koalitionsvereinbarungen deutlich zum Ausdruck kämen. Im Gegensatz hierzu machen sich insbesondere die CDU; sehr wohl aber auch die SPD, für eine weitere militärische Unterstützung der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen die russische Aggression und die geplante Stationierung von Langstreckenwaffen stark, die sie als notwendige Abschreckung gegen eine für die kommenden Jahre als zunehmend angenommene Gefahr eines russischen Angriffs auf das Gebiet der NATO ansehen.
In der vergangenen Woche (21. - 27, Oktober 2024) zeigte sich, wie brisant sich diese Gemengelage auf das Vorhaben auswirken kann, mit Hilfe des BSW eine Beteiligung der AfD an Landesregierungen zu verhindern. In der Woche zuvor hatte der frisch zum Kanzlerkandidaten der CDU/CSU gekürte CDU-Vorsitzende und Oppositionsführer Friedrich Merz in einem ARD-Interview und anschließend auch in einer Debatte im Deutschen Bundestag erklärt, er wäre unter bestimmten Bedingungen bereit, „Taurus“-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern, nachdem die russischen Luftangriffe auf das Land immer zahlreicher werden und auch immer mehr zivile Opfer fordern (Bundeskanzler Olaf Scholz [SPD] hat eine solche Lieferung in der Vergangenheit mehrfach abgelehnt). Am 18. Oktober verkündeten dann Vertreter der CDU, des BSW und der SPD in Erfurt, man habe die Sondierungsgespräche erfolgreich abgeschlossen und wolle in der folgenden Woche in Koalitionsverhandlungen eintreten. Doch schon wenig später wurde diese Einigung von der Vorsitzenden des BSW Thüringen, Katja Wolf, wieder in Frage gestellt: vor dem Beginn von Koalitionsverhandlungen müsse über die Formulierung der Friedensfrage Einigkeit erzielt werden. Zwar hatten sich die Unterhändler dem Vernehmen nach zuvor bereits auf vage Formulierungen verständigt; die reichten BSW-Chefin Sahra Wagenknecht aber angesichts der erwähnten Merz-Äußerungen offenbar nicht aus. Sie forderte den thüringischen CDU-Landesverband auf, sich von seinem Bundesvorsitzenden „zu distanzieren“. Thorsten Frei, Erster Parlamentarischer Staatssekretär der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, bezeichnete diese Forderungen im ZDF-Mittagsmagazin vom 23. Oktober 2024 als „wenig hilfreich“ und sogar „absurd“. In der Folge sah es so aus, als stünden weitere Gespräche zur Bildung einer so genannten Brombeer-Koalition vor dem Aus. Die von den Unterhändlern gefundenen Formulierungen gingen Sahra Wagenknecht nicht weit genug, der von ihr vorgelegte Alternativ-Text war für CDU und SPD nicht akzeptabel.
Angesichts dieser Entwicklungen wurde an diesem Wochenende (26,/27. Oktober) zunehmend die Frage diskutiert, ob Sahra Wagenknecht eine Regierungsbeteiligung des BSW in Thüringen und Sachsen (dazu weiter unten) überhaupt wolle oder ob sie nicht vielmehr übergeordnete bundespolitische Ziele verfolge. Hierzu erschienen am 28. Oktober 2024 Online-Beiträge des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) und des Deutschlandfunks. In letzterem kommt auch der Politikwissenschaftler Benjamin Höhne zu Wort – mit durchaus bemerkenswerten Ansichten zur Struktur des BSW. Er schätze die Situation so ein, dass die Landesverbände des BSW „faktisch vielleicht so unfrei sind, wie in keiner anderen Partei ein Landesverband“. Es sei „so konfiguriert, dass dort von oben nach unten durchregiert wird, um das salopp auszudrücken“. Er spricht von einer „zentralistischen Steuerung“ und wenigen „handverlesenen Mitgliedern“. Man sehe das „alte rechte Organisationsmodell“ eines „charismatischen Führers an der Spitze“ mit einem „schlanken Apparat“, so Höhne. Beschlüsse würden „top-down gefasst“. Hier sei das BSW weit weg von den Vorgaben des Grundgesetzes, dessen Artikel 21 fordere, dass die innere Ordnung der Parteien „demokratischen Grundsätzen entsprechen“ muss.
Auch in Sachsen, wo die Gespräche sich nach einer „Kennenlern-Phase“ noch immer im Stadium von Sondierungen befinden, kam es am 25. Oktober 2024 zu einer ernsthaften Krise in den Verhandlungen. Dort wurde an diesem Tag über einen AfD-Antrag zur Einsetzung eines Corona-Untersuchungsausschusses abgestimmt – für die dortige Landes-SPD ein sensibles Thema, weil in diesem laut dem AfD-Antrag auch das Handeln der seinerzeit verantwortlichen Ministerin aus den Reihen dieser Partei auf den Prüfstand gestellt werden soll. Und obwohl dies für die Einsetzung dieses Ausschusses gar nicht erforderlich gewesen wäre, stimmte ein großer Teil der BSW-Landtagsabgeordneten für diesen Antrag. Daraufhin stoppte die SPD die Sondierungsverhandlungen vorläufig; der „Schulterschluss von AfD und BSW“ sei eine schwere Belastung für die laufenden Sondierungsgespräche. Zu diesen Vorgängen äußerte sich der Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer gegenüber der Deutschen Presse-Agentur: „Es handelt sich um einen Affront gegenüber den potenziellen Koalitionspartnern“, erklärte er. Das BSW habe damit Misstrauen und Unzuverlässigkeit demonstriert. Ob das BSW künftig auch bei anderen Themen mit der AfD stimmen werde, sei vollkommen unsicher. Er sehe daher zur Zeit keine verlässliche und vertrauensvolle Basis für eine Koalition aus CDU, BSW und SPD.
Inzwischen hat sich die Situation in Thüringen etwas entspannt, die Verhandlungen scheinen jedoch nach wie vor auf der Kippe zu stehen. Zunächst wurde am 28. Oktober gemeldet, die Parteien hätten sich auf die Präambel eines möglichen Koalitionsvertrags geeinigt; einschränkend hieß es allerdings, die Zustimmung des BSW-Landesvorstands stehe noch aus. Diese liegt zwar inzwischen vor, dennoch dauern die Unstimmigkeiten zwischen dem Landesverband Thüringen und BSW-Chefin offenbar nahezu unvermindert an. Die hatte sich bereits am Abend dieses Tages unzufrieden mit dem gefundenen Kompromiss gezeigt: er bleibe „leider deutlich hinter dem in Brandenburg gefundenen guten Kompromiss zurück“. Zuvor hatte die BSW-Landesvorsitzende, Katja Wolf, auf einer Pressekonferenz erklärt, das Dokument sei mit der Bundesspitze „intensiv diskutiert worden“. Eine Zustimmung aus Berlin sei rein formal nicht vorgesehen. Die Situation in Brandenburg sei eine andere: dort müsse man nur mit einer Partei über eine Koalition verhandeln und nicht mit zweien. Der sich zu diesem Zeitpunkt bereits abzeichnende Machtkampf zwischen dem Thüringer BSW-Landesverband und der Spitze der Bundespartei spitzte sich denn auch am 31. Oktober weiter zu. Wenn der Landesverband seine außenpolitischen Positionen nicht konkretisiere, bleibe nur der Gang in die Opposition, hieß es aus Kreisen der Bundespartei.
Bereits am 28. Oktober hatte sich der Oliver Lembcke von der Ruhr-Universität in Bochum gegenüber dem MDR Thüringen zu dem sich abzeichnenden Konflikt geäußert. „Das kann und wird die Koalitionsverhandlungen beeinträchtigen. Das kann sie möglicherweise behindern oder auch zum Scheitern bringen.“ Es handle sich hier um eine Machtprobe zwischen Katja Wolf und Sahra Wagenknecht; die werde das Thema Krieg und Frieden niemals loslassen. Sie stehe dafür und sei hauptsächlich dafür gewählt worden. Er teilt die Auffassung von Benjamin Höhne über das BSW, ohne ihn zu nennen. Dass eine Parteichefin sich „so öffentlich und so häufig“ in Angelegenheiten der Landesverbände einmischt, bezeichnet er als „speziell“. „Im Prinzip hat Sahra Wagenknecht eine klar autoritäre Struktur etabliert“, erklärt er weiter. Das BSW sei eine Kaderpartei. Dazu gehöre beispielsweise das Verfahren, Mitgliedsanträge streng zu prüfen. „Wer es überhaupt schafft, Mitglied zu werden, der muss sich gewissermaßen einreihen. Die einzige Struktur, die diese Partei kennt, ist von oben nach unten, also Top-down.“ Formalrechtlich betrachtet sei das BSW eine Partei, aber der Struktur nach wolle man keine Mitglieder – und offenbar auch keine regionale Verwurzelung. Nun gebe es „handfeste Interessengegensätze“, und der Thüringer Landesverband versuche „Beinfreiheit zu gewinnen“. Das mache Katja Wolf „in gewisser Weise richtig“. Kein Politiker könne durch geliehene Autorität erfolgreich in der Politik sein.
Anscheinend etwas ruhiger stellt sich am 1. November 2024 die Situation in Sachsen dar. Nach der Unterbrechung der Sondierungsgespräche durch die SPD trafen sich dort die Parteien am 28. Oktober zu einem von dieser Partei geforderten „klärenden Gespräch“. Dabei seien das Abstimmungsverhalten im Plenum und die Missverständnisse im Umgang miteinander angesprochen und ausgeräumt worden, wurde im Anschluss mitgeteilt. Man habe Vereinbarungen getroffen, wie man sich während der Sondierungsgespräche künftig besser abstimmen und zusammenarbeiten wolle. Über die Ergebnisse der Arbeitsgruppen ab 7. November müssten dann die Landesvorstände der Parteien abstimmen, bevor offizielle Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden könnten.
Meine Meinung: Die hier beschriebenen Vorgänge beunruhigen mich zutiefst, und die wiedergegebenen Einschätzungen der Politikwissenschaftler und Parteienforscher sind auch nicht geeignet, an diesem Gefühl Wesentliches zu ändern. Vordergründig geht es „nur“ um eine Krise in den Verhandlungen zur Bildung neuer Landesregierungen in Thüringen und Sachsen und darum, die in beiden Ländern von den jeweiligen Landesämtern für Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestufte AfD aus diesen Landesregierungen herauszuhalten. Obwohl man also meinen könnte, es handle sich „nur“ um eine diese beiden Bundesländer betreffende Krise, habe ich für diesen Beitrag in diesem Angebot eine neue Seite mit dem durchaus gewichtigen (und sehr bewusst gewählten) Titel „AfD, BSW – Wohin steuern sie Deutschland?“ ins Leben gerufen – weil ich (entsprechend der URL dieser Seite) in diesen Vorgängen mehr sehe: eine „Deutschland-Krise“.
Alarmismus? Panikmache? Ich denke (hoffe) nein. Betrachten wir die Dinge einmal etwas näher: Aufrechten Demokraten sollte es ein Anliegen sein, eine als „gesichert rechtsextrem“ eingestufte Partei von Regierungsverantwortung fernzuhalten, wo immer dies unter Einhaltung rechtsstaatlicher Standards möglich ist. Um dies zu erreichen, sollten sich die (verbliebenen) auf dem Boden der jeweiligen Verfassung stehenden Parteien auf ihre gemeinsamen Werte besinnen, ihre programmatischen Unterschiede ein Stück weit beiseite räumen und versuchen, gemeinsame Lösungen zu finden, die den Menschen nützen und das Gemeinwesen voranbringen können. Mir ist bewusst, dass dies viel leichter geschrieben als getan ist. aber wenn es jetzt, in genau dieser Situation, nicht gelingt, dann gerät letztlich womöglich unser demokratisches System und damit unser komplettes Wertesystem in Gefahr. Und hier liegt nun die Krux:
Als ich den Entschluss fasste diesen Artikel zu schreiben, hatte ich eine vage, dumpfe Ahnung, die durch die notwendigen Recherchen nun in weiten Teilen bestätigt worden ist: Um eine Partei aus der Regierungsverantwortung fernzuhalten, die jedenfalls in großen Teilen ein anderes Deutschland will als das, in dem wir heute leben, und in der nicht wenige bereit sind, hierfür auch Gewalt einzusetzen, benötigen die etablierten demokratischen Parteien die Hilfe einer anderen Partei, die den hier gewonnenen Erkenntnissen zufolge zumindest Züge autoritärer Strukturen aufweist und bei der fraglich ist, ob sie insoweit den Anforderungen genügt, die unser Grundgesetz an Parteien stellt.
Eine der verbliebenen Parteien des demokratischen Spektrums ist die CDU (jedenfalls begreift sie sich als eine demokratische Partei, und in weiten Teilen ist sie wohl auch eine solche). Dass sie für sich eine Zusammenarbeit mit Parteien ausschließt, die sie für undemokratisch hält oder von denen sie glaubt, sie wollten eine andere staatliche Ordnung erreichen, ist zunächst einmal verständlich und sicher auch legitim. Was den kategorischen Ausschluss einer Zusammenarbeit mit der AfD betrifft, sollte dieser unter aufrechten Demokraten keiner weiteren Diskussion bedürfen. Etwas anderes könnte sich jedoch für das ebensolche Ausschließen einer Zusammenarbeit mit der Partei DIE LINKE ergeben. Schauen wir einmal etwas genauer hin:
Gefasst wurde der entsprechende Parteitagsbeschluss im Jahr 2018; die darin auf S. 9 aufgeführten Gründe scheinen für diese Zeit auch durchaus plausibel zu sein. Doch wir schreiben inzwischen das Jahr 2024! In diesem Jahr ist es zehn Jahre her, dass Bodo Ramelow von der Partei DIE LINKE zum ersten Mal zum Ministerpräsidenten Thüringens gewählt wurde – in ein Amt, das er seither (mit einer kurzen Unterbrechung) innehat (derzeit geschäftsführend). In dieser Zeit hat seine Partei einer Regierung vorgestanden (seit 2020 einer Minderheitsregierung) und sich im demokratischen Prozess bewähren können. In diesem Jahr ist die frühere Führungsfigur der „Kommunistischen Plattform“, Sahra Wagenknecht, nicht mehr Mitglied dieser Partei, sondern vielmehr Co-Vorsitzende des von ihr wesentlich initiierten BSW. Die Partei DIE LINKE wird mindestens seit 2020 jedenfalls in Gänze nicht mehr vom Verfassungsschutz beobachtet, und im aktuellen Verfassungsschutzbericht (für 2023) ergibt dieser Suchbegriff nur noch einen (inhaltlichen) Treffer: in diesem wird beschrieben, trotzkistische Gruppierungen versuchten in der Partei an Einfluss zu gewinnen.
Diese Fakten dürften eine Rolle für den Beitrag gespielt haben, mit dem sich nach Bekanntwerden der bei den Thüringer Verhandlungen aufgetretenen Probleme Mario Czaja zu Wort meldete, immerhin einer der früheren Generalsekretäre der CDU. In einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) gab er zu bedenken: „Die schwierigen Koalitionsverhandlungen in Thüringen zeigen, dass es sich jetzt rächt, dass sich meine Partei nicht kritisch mit dem Unvereinbarkeitsbeschluss zur Linkspartei auseinandergesetzt hat. Denn Björn Höcke kann in Thüringen mit einfacher Mehrheit im dritten Wahlgang Ministerpräsident werden, wenn die CDU keinen Konsens mit dem BSW oder mit der Linkspartei findet.“ Und weiter: „Es ist ein großer Fehler, nicht mit der regierungserfahrenen und gemäßigteren Linken, der Linkspartei von Bodo Ramelow, zu sprechen und stattdessen mit der Person zu verhandeln, deren kommunistische Plattform in der Linken in der Vergangenheit vom Verfassungsschutz beobachtet wurde.“
Mit dem letzten Punkt hat Czaja (hoffentlich nicht nur) mir „aus dem Herzen gesprochen“ (wie man so schön sagt): Sahra Wagenknecht und ihr BSW treten für „Frieden“ ein – an und für sich begrüßenswert, denn: wer wünscht sich keinen Frieden? Es ist auch nicht dieses Eintreten für Frieden, das ich problematisch finde: es ist der dahinterstehende Friedensbegriff. Dieser beinhaltet nicht zuletzt die Forderung nach einem sofortigen Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine. In meiner Ausarbeitung „Welcher Weg kann Frieden bringen?“ habe ich im Februar 2023 verschiedene Wege aufgezeigt, wie ein Frieden in diesem Konflikt erreicht werden könnte. In dem Abschnitt „Der ‚Verhandlungs‘-Frieden“ wird darin (S. 5 f.) auch aufgezeigt, dass die Vorstellungen, die Frau Wagenknecht und ihre Unterstützer mit dem Begriff „Frieden“ verbinden, durchaus nicht unproblematisch sind und vor allem fraglich ist, ob ein solcher wirklich nachhaltig und dauerhaft sein würde.
Die CDU tritt dagegen in diesem Konflikt für eine Lösung ein, die eher mit dem ebenfalls in der Ausarbeitung erörterten griff eines „Stärke“-Friedens umschrieben werden könnte (vgl. dort ab S. 7). Dass ein mögliches Zusammengehen von Parteien mit so unterschiedlichen Vorstellungen in Fragen, die letztlich die Sicherheit ganz Europas und damit eben auch Deutschlands betreffen, sehr problematisch sein kann, liegt auf der Hand. So warnt auch Mario Czaja in seinem bereits erwähnten Interview: „Sowohl eine Koalition mit dem autokratisch geführten BSW als auch die greifbare Gefahr, dass ohne diese Zusammenarbeit Björn Höcke in wenigen Wochen Ministerpräsident wird, drohen die Partei in ihren Grundfesten zu zerreißen.“
Doch es geht hier – so fürchte ich – nicht allein um die Zukunft der CDU; es geht hier durchaus um die Zukunft Deutschlands, um die Zukunft der Demokratie in diesem Land. Zum einen (kurzfristig): Wenn CDU und BSW in Thüringen nicht zusammenfinden können, droht (Mario Czaja hat es angesprochen) dort eine Regierung unter Führung der AfD und ein Ministerpräsident Björn Höcke – immerhin ein Mann, der ohne Androhung von Strafe ein Faschist genannt werden darf. Zum anderen darf (langfristig) keinesfalls übersehen werden, dass es zwischen AfD und BSW programmatische Schnittmengen gibt: beide treten für einen höchst fragwürdigen Frieden im Krieg zwischen der Ukraine und der Russischen Föderaton ein – einen Frieden, der weit mehr die Interessen des russischen Präsidenten Wladimir Putin als die weiter Teile des ukrainischen Volkes berücksichtigen würde und letztlich möglicherweise sogar eine Bedrohung für die Freiheit des restlichen Europas darstellen könnte.
Es ist dieser Gesichtspunkt, der sowohl für die Benennung dieser Seite als auch für die Überschrift dieses Artikels verantwortlich ist. Wenn sich Sahra Wagenknecht mit ihren Vorstellungen zu einer das Thema Frieden behandelnden Formulierung in einer Präambel einer möglichen Koalitionsvereinbarung in Thüringen gegen Katja Wolf und den Thüringer BSW-Landesverband durchsetzen kann und so letztlich ein Zustandekommen einer Koalition verhindert, die einen Ministerpräsidenten Björn Höcke ausschließt, würde sie sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, für ihn zur Steigbügelhalterin geworden zu sein.*) Dies könnte Folgen für die Koalitionsverhandlungen auch in Sachsen und möglicherweise sogar in Brandenburg haben – und darüber hinaus letztlich auch für die Bundespolitik und die deutsche Parteienlandschaft. So oder so: ich fürchte, dass Deutschland vor unruhigen bis sehr unruhigen Zeiten steht – und dass AfD und BSW dabei eine unrühmliche Rolle spielen könnten (zumindest aus der Sicht überzeugter Demokraten).
Der Vollständigkeit halber: Es sieht so aus, als hätte Mario Czaja bei seiner Wortmeldung übersehen, dass DIE LINKE in Thüringen das BSW bei einer Regierungsbildung keinesfalls ersetzen kann; ohne das BSW könnte keine stabile Regierung gegen Björn Höcke und die AfD gebildet werden. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die von der CDU angestrebte „Brombeer-Koalition“ eben allein auch keine Mehrheit im thüringischen Landtag hätte, ihr dagegen eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit der LINKEN eine solche verschaffen könnte.
*) Diesen Vorwurf könnte man selbstverständlich auch der CDU machen, weil sie nicht bereit sein würde, auf die entsprechenden Forderungen von Sahra Wagenknecht einzugehen. Das ist eine Frage des politischen Standpunktes und -ortes. Da ich jedoch der Auffassung bin, dass der von Sahra Wagenknecht vertretene Friedensbegriff Deutschlands Sicherheit langfristig gesehen stärker gefährden würde als die von der CDU eingenommene Position im Ukraine-Konflikt, vertrete ich den aus der Überschrift dieses Artikels deutlich werdenden Standpunkt.
Wichtiger Hinweis: Einige der Verlinkungen in diesem Artikel gehen auf Angenmbote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die Erfahrungen mit diesen Seiten zeigen, dass diese häufig nur für begrenzte Zeit verfügbar sind. Derzeit verhandeln die Bundesländer über Änderungen am so genannten Medienstaatsvertrag. Zur Diskussion steht hierbei u.a., sowohl die inhaltliche Ausgestaltung als auch die zeitliche Verfügbarkeit dieser Angebote weiter einzuschränken. Bitte rechnen Sie damit, dass einige der Verlinkungen in diesem Artikel bereits nach relativ kurzer Zei nicht mehr funktionieren könnten.