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Politik und Gesellschaft - Kühlen Kopf bewahren!

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Kühlen Kopf bewahren!
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Hört nicht auf die Person, die Antworten hat, hört auf die Person, die Fragen hat.
      Albert Einstein

Politik und Gesellschaft


Entschuldigung, hier ist ein Malheur passiert!

Als ich am 26.08.2024 diese Seite um einen weiteren Artikel ergänzen wollte musste ich feststellen, dass der gesamte Inhalt offenbar bei der letzten Aktualisierung dieser Website am 16.06.2024 aus für mich nicht nachvollziehbaren Gründen verloren gegangen ist. Da mir jedoch einige Artikel über den jeweils aktuellen Anlass ihrer Entstehung hinaus wichtig und damit erhaltenswert erschienen (etwa der 2019 erschienene Artikel Woher kommt der Hass (auf Juden)?, ein Thema, dass gerade nach dem Überfall der Hamas vom 7. Oktober 2023 und den seither bis heute andauernden kriegerischen Auseinandersetzungen im Gaza-Streifen, aktuell zunehmend aber auch im Westjordanland und besonders im Libanon neue und noch einmal sich steigernde Brisanz erfahren hat und erfährt), ich aber andererseits auch keine Auswahl treffen mochte, habe ich in den vergangenen drei Wochen alle ursprünglich auf dieser Seite erschienenen Artikel restauriert. Sie sind nun auf der Seite Archiv Politik und Gesellschaft zu finden.


Stresstest für die deutsche Demokratie?

Angesichts der Tatsache, dass am 1. September 2024 in Thüringen und Sachsen der jeweilige Landtag neu gewählt wird und nach den zuletzt veröffentlichten Meinungsumfragen erwartet werden kann, dass die von den Verfassungsschutzämtern beider Bundesländer als „gesichert rechtsextrem“ eingestufte (selbsternannte) Alternative für Deutschland“ (AfD) aus diesen Wahlen als stärkste bzw. zweitstärkste Kraft hervorgehen könnte, stellte der ARD-Presseclub“ vom 25. August 2024 sich bzw. den teilnehmenden Journalist*innen die Frage, ob diese Wahlen einen „Stresstest für die Demokratie“ darstellen könnten. Zu den beschriebenen Erwartungen bezüglich des Wahlergebnisses trat als die Diskussion (bzw. deren Gegenstand) weiter verkomplizierendes Moment hinzu, dass sich am Abend des 23. August bei dem Fest zum 650-jährigen Bestehen der Stadt Solingen ein (wie sich inzwischen herausgestellt hat) offenbar islamistisch motiviertes Attentat ereignet hatte, das drei Todesopfer forderte und bei dem fünf weitere Menschen schwer und einige weitere leicht verletzt worden waren.

In der Online-Diskussion zu dieser Presseclub“-Sendung ging es neben vielen anderen Themen auch um die Frage, ob denn der Fragestellung entsprechend – Wahlen überhaupt einen Stresstest für die Demokratie darstellen könnten. Hierzu wurde u.a. die Auffassung vertreten, diese bevorstehenden Wahlen stellten wohl für die Demokratie keinen Stresstest dar (schließlich seien sie einer ihrer ureigensten Bestandteile), viel eher aber für viele, die vom Ergebnis dieser Wahlen (negativ) betroffen sein könnten. (Diese Diskussionsteilnehmer zielten offensichtlich auf den Umstand ab, dass den bereits erwähnten Umfragen zufolge den die so genannte  Ampel-Koalition in Berlin bildenden Parteien SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP für diese Wahlen durchweg Ergebnisse im einstelligen Prozentbereich oder sogar ein Ausscheiden aus den Landesparlamenten drohen.) Ich war zunächst der Auffassung, dass insoweit von einem Stresstest für die Demokratie gesprochen werden könne als bei diesen Wahlen mindestens eine Partei zur Wahl steht, die als (langfristiges) Ziel eine Ordnung in Deutschland herstellen will, die den Regelungen (und damit auch dem Geist) des Grundgesetzes fundamental entgegensteht (dankenswerterweise finden sich in der erwähnten Online-Diskussion neben vielen wirklich unsäglichen, aber zugleich sehr verräterischen Beiträgen auch einige sehr erhellende Zitate aus einem Buch des thüringischen AfD-Spitzenkandidaten Björn Höcke, die überdeutlich machen, in welche Richtung die Reise unter einer Regierung mit oder sogar unter einer Führung dieser Partei gehen würde). Bei einer zweiten Partei, die erstmals in Deutschland zu Landtagswahlen antritt, dem „Bündnis Sarah Wagenknecht“ (BSW) bestehen zumindest gewisse Anhaltspunkte dafür, dass sie in Teilen Ziele verfolgt, die eher den Zielen ausländischer Mächte entsprechen könnten als dem Schutz der Freiheit der in Deutschland lebenden Menschen. Beide Parteien treten z.B. dafür ein, die Ukraine in ihrem Kampf gegen den russischen Angriffskrieg nicht länger mit Waffen zu unterstützen. Sie könnten den letzten Meinungsumfragen zufolge in Thüringen zusammen auf 47% der Wählerstimmen kommen und wären somit auch ohne an der Regierung beteiligt zu sein in der Lage, bestimmte parlamentarische Entscheidungen zu blockieren. Zudem könnte Björn Höcke als Thüringer Ministerpräsident ohne Zustimmung des Parlaments etwa den Medienstaatsvertrag kündigen und so die öffentlich-rechtlichen Medien (Rundfunk, Fernsehen) im Land blockieren.

Die Fragestellung

Ich stellte mir nicht zuletzt angesichts vieler Beiträge in der bereits erwähnten Online-Diskussion zum Presseclub“, aber auch wegen der politischen Reaktionen auf die Ereignisse in Solingen, die Frage, welchen Gegenstand der im Sendungstitel apostrophierte „Stresstest“ nun tatsächlich haben würde. Die Demokratie als solche kann im Wortsinn wohl nur schwerlich gestresst werden; dennoch könnte sie durch Wahlergebnisse wie die für Thüringen und Sachsen prognostizierten möglicherweise zwar (noch) nicht in Gefahr geraten, durchaus aber gewissen Schaden erleiden. Beispiele hierfür haben wir in der jüngeren Geschichte in Polen und insbesondere in Ungarn erlebt, und in der Slowakei scheint eine ähnliche Entwicklung zumindest nicht auszuschließen zu sein; so wurde dort unlängst dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen der Garaus gemacht und wird nun danach getrachtet, diese bislang unabhängige Sendeanstalt zu einem Staatsmedium umzubauen. Und in diesem Zusammenhang muss auch darauf hingewiesen werden, wie weit in Polen unter der PiS-Regierung („PiS“ steht übrigens für „Recht und Gerechtigkeit“) die Unabhängigkeit des Justizsystems untergraben worden war und wie schwierig es sich für die als liberal und europäischen Werten durchaus verpflichtet geltende Nachfolge-Regierung gestaltet, diese Unabhängigkeit wiederherzustellen.

Aus der Online-Diskussion zu der Presseclub“-Sendung wird deutlich, dass unter den Bürger*innen in der gesamten Republik eine große Unzufriedenheit mit der „Ampel“-Koalition bzw. mit den Ergebnissen von deren Politik herrscht, wobei insbesondere die GRÜNEN und die SPD zur Zielscheibe werden. Vielfach wird – insbesondere anscheinend von Menschen aus den östlichen Bundesländern – eine starke AfD als Lösung des empfundenen politischen Problems angesehen, das vielfach in „ungesteuerter und „massenhafter“ Migration und den (angeblich durch diese verursachten) wirtschaftlichen Schwierigkeiten in Deutschland gesehen wird. Zudem sehen viele Diskussionsteilnehmer*innen die deutsche Unterstützung in den kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine und in Israel für diese Länder kritisch und wünschen sich Frieden und (insbesondere im Fall der Ukraine) zu diesem führende Verhandlungen; als Voraussetzung hierfür sehen sie die Einstellung der Waffenlieferungen. Zudem wird häufig beklagt, seine Meinung nicht mehr frei äußern zu können; einige sehen auch hier eine starke AfD als Lösung an (ich habe mir in einer Antwort auf einen entsprechenden Post den Hinweis erlaubt, die AfD stehe jedenfalls in Teilen in der Tradition einer Partei, unter deren Herrschaft freie Meinungsäußerung mit Haft oder sogar Tod in einem Vernichtungslager bedroht gewesen sei). In einigen Posts wird sogar ein Zusammengehen von AfD und BSW gefordert, in anderen auch warnend darauf hingewiesen, dass Björn Höcke in Thüringen bereits um eine solche Zusammenarbeit werbe.

Das ist der eine zu beleuchtende Aspekt, wenn man die Frage erörtern will, für wen (oder was) die Ergebnisse der Wahlen am 1. September 2024 in Thüringen und Sachsen einen Stresstest bedeuten werden bzw. könnten. Angesichts der beschriebenen Ausgangslage wird es zunächst einmal für die Wählenden in beiden Lagern (sowohl von AfD und BSW auf der einen als auch der „etablierten“ Parteien auf der anderen Seite) ein Stresstest sein, deren Ergebnis abzuwarten und (wohl eher im zweitgenannten Lager) anschließend mit ihm umzugehen. Gleiches gilt jedoch auch (und in besonderer Weise) für die Politiker*innen dieses Lagers. Und auf diese möchte ich nun meinen Blick richten. Wie schon erwähnt, ist die als ungesteuert empfundene Migration und deren (vermeintliche) Auswirkungen eines der beherrschenden Themen im Vorfeld dieser Wahlen. Hiermit in mehr oder weniger engem Zusammenhang steht das gefühlte (Un-)Sicherheitsgefühl in weiten Teilen der Bevölkerung, insbesondere nach den Messerattentaten von Mannheim und Solingen, bei denen insgesamt vier Menschen ums Leben kamen (darunter ein Polizist, der entsprechend seinen Aufgaben das Leben anderer schützen wollte) und die beide einen islamistischen Hintergrund hatten (hinsichtlich des Solinger Attentats gab es offenbar sogar Spekulationen, es könne von der AfD „bestellt“ gewesen sein). Zweifelsohne sind solche schrecklichen Ereignisse Wasser auf die Mühlen der AfD, zumal wenn sich wie im Fall des mutmaßlichen Solinger Attentäters herausstellt, dass dessen Tat ganz offensichtlich durch ein gewissermaßen „multiples Behördenversagen“ begünstigt wurde (mehr hierzu weiter unten). Bedenklich finde ich allerdings, dass sich in der Folge solcher Ereignisse auch Politiker der so genannten etablierten“ Parteien mit unrealistischen Forderungen zu Wort melden, die ich muss es leider so krass formulieren ebenso populistisch sind wie die Parolen der AfD. Da werden „massenhafte Abschiebungen“ und solche auch nach Afghanistan und Syrien versprochen (Olaf Scholz), da wird ein kompletter Aufnahmestopp für Menschen aus diesen beiden Ländern gefordert (u.a. Friedrich Merz), und da wird zum wiederholten Male eine Verschärfung des Waffenrechts hinsichtlich des Tragens von Messern angekündigt (Nancy Faeser, Olaf Scholz).

Der Charakter der Forderungen

Warum bezeichne ich diese Forderungen/Ankündigungen als „populistisch“? Nehmen wir sie doch einfach mal etwas näher unter die Lupe:
1. Massenhafte Abschiebungen: Vordergründig erscheint diese Forderung sowohl als sinnvoll als auch als realistisch. Wie in den vergangenen Tagen bekannt wurde, gab es im Jahr 2023 in Deutschland knapp 75.000 Personen, die über ein sicheres Drittland nach Deutschland eingereist waren und dort – entsprechend den so genannten Dublin-Regeln bereits einen Asylantrag gestellt hatten (zu diesen Personen gehörte auch der mutmaßliche Attentäter von Solingen). Tatsächlich wurden jedoch nur 5.035 dieser Personen wieder in die entsprechenden Länder zurückgeführt“ (so lautet der Fachbegriff für diesen Vorgang). Obwohl der Ablauf dieses Geschehens noch nicht in allen Einzelheiten bekannt ist, können die Ursachen für dieses Missverhältnis am Beispiel eben dieses mutmaßlichen Solinger Attentäters aufgezeigt werden: Zum Zeitpunkt der geplanten Rückführung (Bulgarien hatte dieser zugestimmt, das Flugticket war gebucht) war er in einer Flüchtlingsunterkunft in Paderborn untergebracht, in der er zum Zeitpunkt der geplanten Abholung nicht angetroffen wurde. Nach dem Kenntnisstand in dieser Angelegenheit vom 27.08.2024 wurde ein zweiter Versuch, seiner zum Zwecke der Rückführung habhaft zu werden, nicht unternommen. Da er jedoch auch nicht untergetaucht war (sein Aufenthaltsort war den Behörden bekannt) lief entsprechend den für eine solche Rückführung geltenden Regeln sechs Monate nach diesem gescheiterten Versuch die Frist für diese ab. Weshalb genau kein weiterer Versuch einer Rückführung unternommen wurde, ist noch Gegenstand der Ermittlungen. Allgemein wird jedoch beklagt, den mit diesen Vorgängen beauftragten Behörden stehe angesichts des Anstiegs der ihnen übertragenen Aufgaben viel zu wenig Personal zur Verfügung. Zudem sei die notwendige Zusammenarbeit zwischen diesen Stellen nicht hinreichend gewährleistet. Im tagesthemen“-Interview vom 26.08.2024 brachte es die Parlamentarische Geschäftsführerin der GRÜNEN-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic (vor ihrer Abgeordneten-Karriere langjährig als Polizistin tätig), auf den Punkt: Ohne massive Investitionen in den Personalausbau insbesondere bei den Ausländerbehörden und der Bundespolizei werde sich an dieser Situation wenig ändern (können). Diese ließen sich allerdings in den derzeitigen Haushaltsplanungen von Bund und Ländern nicht abbilden“.
2. Abschiebungen von Straftätern auch nach Afghanistan und Syrien: Menschen aus Deutschland in ein bestimmtes Land abschieben zu können setzt entsprechende Abkommen mit der Regierung des jeweiligen Landes voraus.Wegen der Menschenrechtslage in diesen Ländern erkennt Deutschland (die Bundesregierung) derzeit weder die Regierung Afghanistans noch die Syriens an, und es gibt derzeit auch keine erkennbaren Bestrebungen, dies in nächster Zeit zu ändern (ob es seitens der CDU/CSU Pläne gibt, hierzu nach eine möglichen Übernahme der Regierungsverantwortung eine andere Haltung einzunehmen, ist mir nicht bekannt). Schon von daher erscheinen solche Ankündigungen wenig realistisch, womit sie zumindest mit einiger Berechtigung in den Bereich des Populismus zu verweisen sind. Zudem dürften einem solchen Vorhaben internationale Vereinbarungen im Wege stehen, denen zufolge auch Straftäter nicht in ein Land abgeschoben werden dürfen, in dem ihnen Folter oder Tod droht. Bezüglich Afghanistans gibt es angeblich Bestrebungen der Bundesregierung, mit dem Nachbarland Pakistan zu einer Vereinbarung zu kommen, straffällig gewordene Afghanen bis an die Grenze zwischen diesen beiden Ländern abschieben zu können; Experten zufolge soll die pakistanische Regierung jedoch bislang wenig Interesse an einer solchen Vereinbarung gezeigt haben.
3. Kompletter Stopp von Einreisen aus Afghanistan und Syrien: Zu dieser Forderung hat Thomas Oberhäuser, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht im Deutschen Anwaltsverein, auf tagesschau.de klar Stellung bezogen: dies sei „völlig verfehlt, das ist weder verfassungskonform noch mit europäischem Recht vereinbar. Das ist einfach Unsinn.“ Worten aus solch' berufenem Munde, die zudem in dem Interview noch weiter erläutert und begründet werden, habe ich hier zur Begründung meiner Position nun wahrlich nichts mehr hinzuzufügen! Weil Herrn Merz dieses Problem (im Nachhinein?) anscheinend auch bewusst geworden ist, hat er am 28.08.2024 einen weiteren Vorschlag nachgeschoben: Deutschland solle den Nationalen Notstand erklären! Hierzu erläutete Kolja Schwarz aus der ARD-Rechtsredaktion in der tagesthemen-Sendung vom selben Abend, dies sei in der Tat eine Möglichkeit, die entsprechenden EU-Regeln für Deutschland zunächst einmal außer Kraft zu setzen. Allerdings müsse ein solcher bei der EU-Kommission einzubringender Antrag sehr gut begründet werden. Er fügte hinzu, entsprechende Anträge anderer EU-Staaten seien bisher immer erfolglos gewesen.
4. Ausweitung von „Messerverboten: Hierzu ist zunächst einmal festzustellen, dass (allerdings nicht nur) hierzulande die Zahl der Angriffe mit Messern in durchaus beängstigendem Umfang zugenommen hat; erst am 27.08.2024 (also nur wenige Tage nach den Ereignissen in Solingen) wurde im niederrheinischen Moers die Polizei wieder wegen eines solchen zu Hilfe gerufen. In der Folge wurde ein 26-jähriger Deutscher von den herbeigerufenen Beamten erschossen, nachdem er den Angaben zufolge mit Messern in beiden Händen auf sie zustürmte. An verschiedenen Orten (so z.B. in Köln, Düsseldorf und Mannheim) wird bereits versucht, dem mit Messerverbotszonen entgegenzuwirken. Zum einen werden solche Zonen meist nur zu bestimmten Zeiten eingerichtet (etwa an Wochenenden), zum anderen muss die Einhaltung solcher Verbote kontrolliert werden. Dies führt zu einer weiteren Belastung für die Polizeikräfte, die in vielen Städten ohnehin schon knapp sind und an Wochenenden zudem oft noch zur Sicherung von Events (z.B. Fußballspielen) benötigt werden. Bundesinnenministerin Nancy Faeser plant nun, die derzeit noch erlaubte Klingenlänge von Messern von 12 cm auf 6 cm zu begrenzen und die Einrichtung von Messerverbotszonen weiter zu erleichtern. Hiergegen wird (wie ich meine, keinesfalls zu Unrecht) eingewandt, dass solche Verbote eben auch überprüft werden müssen, um wirkungsvoll zu sein und nun beißt sich hier offensichtlich die Katze in den Schwanz! Nicht unberechtigt erscheint daher der von den Unionsparteien vorgetragene Einwand, man müsse das Augenmerk wohl eher auf das richten, was in den Köpfen der Messerträger vorgehe, als auf die Messer selbst. Schade nur, dass damit keine Konzepte verbunden werden, wie dies geschehen könnte, und bemerkenswert, dass ungeachtet dieses Einwands einer Meldung des ARD-Teletextes vom 26.08.2024 zufolge seitens der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag ein Antrag eingebracht wurde, dieser möge sich noch in dieser Woche mit dem Waffenrecht (und hier eben mit dem Tragen von Messern) beschäftigen. Konsequentes Handeln sieht nach meiner (unmaßgeblichen[?]) Meinung ein wenig anders aus.

Was bleibt also von den vermeintlich guten (oder zumindest gut gemeinten, was ja längst nicht immer deckungsgleich sein muss) Vorschlägen übrig, die das Sicherheitsgefühl der Menschen in Deutschland verbessern und weitere Attentate wie die in Mannheim und Solingen verhindern sollen? Mein Eindruck: In erster Linie Wahlkampfgetöse! Da dies ein zugegebenermaßen subjektiver Eindruck ist, lasse ich abschließend noch einmal drei mit der Materie vertrautere Personen zu Wort kommen, wobei ich sicherlich den Einwand gelten lassen muss, dass sich eine von ihnen selbst im Wahlkampf befindet; dennoch scheinen mir deren Worte sehr wohl den Kern des Problems zu treffen:
Auszüge aus einem von Robert Habeck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) am 28.07.2024 auf Youtube veröffentlichten Beitrag (kleinere Teile hieraus wurden auch in einigen „Tagesschau-Ausgaben dieses Tages in der ARD gezeigt): „Ich möchte es so deutlich sagen: den Schmerz für seine eigenen politischen Zwecke zu instrumentalisieren, ist nicht nur unappetitlich, es ist genau das Kalkül der Terroristen. ... Hass schürt Hass, Misstrauen Misstrauen. Beides schürt Rassismus und Islamfeindlichkeit. Gewalt gebiert Gewalt – das ist der Zynismus, dem wir widerstehen sollten. ... Wir müssen also reden, über das, was notwendig ist, was rechtlich möglich und schnell umsetzbar ist. Bei den Themen Terrorismus, Extremismus, Integration und Migration. Aber in so schwer erträglichen Zeiten müssen wir auch die Kraft zur Differenzierung aufbringen. Politiker sollten den Menschen nicht Lösungen vorgaukeln, die Unfug sind oder nichts bringen. Denn dann werden Zorn und Enttäuschung nur noch größer. Oder Lösungen propagieren, die am Ende unserem Rechtsstaat schaden. Und wir dürfen bei allem Zorn und der notwendigen Härte gegenüber Mördern, Vergewaltigern oder Terroristen nicht vergessen: Über Migration sprechen heißt über Menschen sprechen. ... Die nichts dafür können, dass sie zufällig im selben Land geboren wurden wie ein Terrorist. Wir müssen dem Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger, der Menschen, die in diesem Land leben, absolute Priorität beimessen. Zu diesen Menschen gehören aber auch jene, die hier ihre neue Heimat gefunden haben, vielleicht in zweiter oder dritter Generation. Oder das Kind aus Syrien, das vor zehn Jahren herkam. Auch sie haben Angst. Angst, Opfer eines islamistischen Anschlags zu werden, Angst vor Rassismus. Wie viele treibt mich neben der Sorge um die Sicherheit in unserem Land die Sorge um unser Land um. Man wäre blind oder naiv, wenn man nicht sehen würde, dass eine neue Welle von Populismus anrollt. Ein Populismus, der uns zu zerreißen droht. Und ja, es gibt eine Ursache. Ich habe deshalb von – auch meinen – Gefühlen gesprochen. Wut, Rachegefühle, Zorn. Aber unser Zusammenleben beruht auf Recht und nicht auf Rache, auf Zusammenhalt, nicht auf Zorn. Wir dürfen uns nicht auffressen lassen vom Zorn, sondern müssen die Institutionen des Rechts und der Rechtsdurchsetzung stärken. Der Angriff von Solingen, er gilt  unseren Werten, der Freiheit, dem Leben, der offenen Gesellschaft. Wenn wir uns aber gegeneinander aufwiegeln lassen, schwächen wir uns selbst. Stattdessen sollten wir handeln – aus eigener Stärke, der Stärke der Gesellschaft heraus. (Trotz der durchaus wohlwollenden Wiedergabe dieser Passagen habe ich eine kritische Anmerkung: In seinen letzten hier wiedergegebenen Worten – gleichzeitig auch das Ende des Beitrags lässt Robert Habeck für meinen Geschmack ein wenig zu sehr offen, worauf er hinaus will. Worin besteht die „Stärke der Gesellschaft“, der deutschen Gesellschaft, seiner Auffassung nach, und zu welchem Handeln sollte sie sie befähigen?)
In der tagesthemen-Ausgabe vom 28.08.2024 erklärte die Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele, zu den Vorschlägen von Friedrich Merz (wie ich meine, durchaus mahnend): „Aber natürlich ist es auch so, dass der CDU-Vorsitzende jetzt auf das Kernthema der AfD springt, nämlich Migration, versucht das für sich zu besetzen und so eben doch im Wahlkampf davon zu profitieren. Man wählt dann eher das Original als die Kopie.“
Und in derselben Sendung fand der stellvertretende Leiter des ARD-Hauptstadtstudios, Matthias Deiß, in der Rubrik „Meinung“ die folgenden Worte: „Wer jetzt nicht zeigt, dass unsere Demokratie handlungsfähig ist, der setzt sie weiter aufs Spiel.“

Der Stresstest betrifft die Menschen!

Das Ergebnis meiner Recherchen und Betrachtungen ist auch für mich (und, wie ich zugeben muss, nicht meinen ursprünglichen Erwartungen entsprechend) ein wahrlich ernüchterndes und noch dazu zutiefst verunsicherndes: Nicht die Wahlen am 1. September in Sachsen und Thüringen (und drei Wochen später in Brandenburg) oder deren Ergebnisse stellen einen Stresstest für die deutsche Demokratie dar, und auch nicht das Stimmverhalten der Menschen, die bei ihnen ihre Stimme abgeben; diese machen zunächst einmal von ihrem in unserem Grundgesetz verbrieften Recht Gebrauch. Nein, es sind nicht zuletzt die Politiker der so genannten etablierten Parteien, die nicht nur die deutsche Demokratie sondern auch was womöglich noch schlimmer und schwerwiegender ist große Teile des bundesdeutschen Wahlvolks einem bisher kaum gekannten Stresstest aussetzen. Dass Parteien, denen die bisherige politische Ordnung in unserem Land missfällt und die sie daher in mehr oder weniger großen Teilen zu verändern oder sogar umzustürzen versuchen, mit ihren vermeintlich einfachen Lösungen für komplexe Probleme erfolgreich auf Stimmenfang gehen, ist zwar in hohem Maße ärgerlich, aber zunächst einmal ihr gutes Recht. Dasselbe gilt, wenn Wählerinnen und Wähler solchen Parteien ihre Stimme geben (wollen). Zwar ist es zunächst einmal auch (nur) in hohem Maße ärgerlich, wenn Politiker*innen von Parteien, die sich die Verteidigung unserer demokratischen Ordnung auf ihre Fahnen geschrieben haben, diese vermeintlich einfachen Lösungen mit geringfügigen Änderungen nachplappern und so versuchen, sich von diesen Parteien die ihnen abgeworbenen Wählerstimmen zurückzuholen. Mehr als nur in hohem Maße ärgerlich ist an einem solchen Verhalten aber, dass sie dabei nicht zu merken scheinen, dass sie mit solchem Verhalten ihrem Ziel und ihrer Aufgabe, die Demokratie in diesem Lande nicht nur zu bewahren, sondern sie darüberhinaus zu fördern und weiterzuentwickeln, nicht nur nicht nachkommen, sondern sogar schaden. Natürlich möchte jeder Bürger und jede Bürgerin in diesem Land sicher und in Frieden (und womöglich auch in Wohlstand) leben. Das ist sein/ihr gutes Recht. Die zur Erfüllung dieses Rechtes gewählte Regierung hat aber neben der möglichst weitgehenden Umsetzung dieser Wünsche auch die Pflicht, die Bevölkerung dieses Landes darüber aufzuklären, dass nicht alle Wünsche eines jeden Bürgers und einer jeden Bürgerin erfüllt werden können und – weitergehend und fast noch wichtiger die Gründe hierfür verständlich darzulegen. Mein sich langsam aber sicher verfestigender Eindruck ist, dass schon seit längerem Regierungen und die sie tragenden Parteien diesen beiden Verpflichtungen nicht, jedenfalls aber nicht hinreichend, nachgekommen sind. Damit haben sie bewirkt, dass Bürgerinnen und Bürger in immer größerer Zahl verunsichert wurden, sich damit auch die Orientierung an Recht (und Gerechtigkeit!) veränderte und dadurch auch das allgemeine Sicherheitsgefühl der Menschen in diesem Land immer stärker gelitten hat. So wird Stress bei Wählerinnen und Wählern verursacht, und hierin besteht die eigentliche Gefährdung unserer Demokratie!



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